O. Harl: Hochtor und Glocknerroute

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Titel
Hochtor und Glocknerroute. Ein hochalpines Passheiligtum und 2000 Jahre Kulturtransfer zwischen Mittelmeer und Mitteleuropa


Autor(en)
Harl, Ortolf
Reihe
Sonderschriften 50
Erschienen
Wien 2014: Österreichisches Archäologisches Institut
Anzahl Seiten
377 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Andrew Lawrence

Auf 2576 m ü.M. gelegen, bildet der Hochtorpass den höchsten Punkt der Glockneroute, die, über die Ostalpen führend, die Nordadria mit der Donau verbindet. Mit der vorliegenden Publikation hat sich Verf. — zusammen mit einem AutorInnenkollektiv — zum Ziel gesetzt, das Fundmaterial aus Grabungen und Surveys im Bereich des Passübergangs vorzulegen und diese im Rahmen des antiken Alpentransits zu kontextualisieren.

Das erste Kapitel, «das Passheiligtum und seine Funde» (S. 13–128), behandelt die Entdeckung und Erforschung der Fundstelle sowie die Auswertung und Interpretation der Funde vom Hochtorpass. Der erste Hinweis auf ein mögliches Passheiligtum am Hochtor erfolgte bereits im Jahr 1933, als, ausgelöst durch die Konstruktion des Hochtortunnels, eine 18,5 cm hohe Herkulesstatuette aus Bronze im Bauschutt entdeckt wurde. Zwischen 1993 und 2009 wurden von verschiedenen Institutionen gezielte Prospektionen und Grabungen im Bereich des Passübergangs vorgenommen. Das dabei geborgene Fundmaterial spricht auf den ersten Blick eine deutliche Sprache: Zur bereits erwähnten Herkulesstatuette kamen 25 weitere Teile von Bronzestatuetten hinzu (vor allem abgebrochene Gliedmassen und Postamente), ausserdem fünf Miniaturlanzen, sieben Fibeln, drei Fragmente von Ausrüstungsgegenständen aus Bronze und Silber sowie 335 Münzen (von der römischen Republik bis in die Neuzeit). Es ist somit naheliegend, aufgrund des Fundspektrums einen kultischen Zusammenhang zu postulieren. In der chronologischen Einordung der Funde ist insbesondere bei den Münzen ein Schwerpunkt in dem 2. und im 1. Jh. v.Chr. zu vermerken. Diese Datierung wird durch die Präsenz einer Nauheimerfibel und einer Fibel vom Typ «Alésia » bestätigt. Zwei bronzene Fussfragmente von Statuetten sowie die Herkulesstatuette selber weisen eine Versockelungstechnik auf, die für die spätrepublikanische Zeit im oberitalisch-venetischen Raum charakteristisch ist.

Während der archäologischen Interventionen wurden keine Befunde identifiziert, die für eine Heiligtumsarchitektur in Frage kämen. Als mögliche Interpretation wird daher ein Heiligtum in Holzarchitektur postuliert, dessen Spuren der Erosion zum Opfer fielen (S. 64–69.122–124). Es bleibt aber zu diskutieren, ob in hochalpinen «heiligen Plätzen» immer Gebäudearchitektur erwartet werden muss.

Wie auch immer der antike Kontext der Funde letztlich zu deuten ist, so gelten diese als wichtige Zeugnisse von sich intensivierenden Handelsbeziehungen im ostalpinen Raum in den letzten Jahrhunderten vor der Zeitenwende. Besonders wichtig für die schweizerische Archäologie ist der ausführliche Vergleich mit dem Heiligtum auf dem Grossen St. Bernhard (S. 103–128). Hier werden Gemeinsamkeiten und Unterschiede der beiden Fundstellen herausgearbeitet. Beide Übergänge sind nicht nur in einem regionalen Kontext zu sehen, sondern spielten im überregionalen Verkehrssystem eine wichtige Rolle.

Im zweiten und im dritten Kapitel werden der Verlauf der Glocknerroute (S. 131–213) und die anliegenden Siedlungen (S. 225– 285) diskutiert. Der Verlauf der Route wird mit Hilfe von literarischen, epigrafischen und archäologischen Zeugnissen rekonstruiert. Weil die Quellen spärlich sind, zieht Verf. Belege aus sämtlichen Perioden heran. Hier ist aber Vorsicht geboten: Mehr als ein Indiz für eine regelmässige Nutzung der Route darf daraus nicht abgeleitet werden. Eine lückenlose chronologische Kontinuität lässt sich nicht zwingend belegen.

In Kapitel 4 (S. 293–338) werden weitere Facetten der Glocknerroute vorgestellt, z. B. ihre Bedeutung als Salzhandelsstrasse mit jahrhundertalter Tradition sowie — in römischer Zeit und anhand der epigraphischen Quellen — als Kontaktzone administrativer und religiöser Einflusssphären.

Abgeschlossen wird die Publikation mit einer mehrseitigen Zusammenfassung (S. 339–348).

Die klar strukturierte, reich bebilderte und enthusiastisch geschriebene Monographie zeigt eindrücklich, wie der Ostalpenraum immer wieder durchquert wurde und folglich in engem Kontakt mit der Mittelmeerwelt stand. Zudem sind die Funde vom Hochtor auch religionsgeschichtlich von grosser Bedeutung, denn die Kultstatuetten gehören zu den frühen Nachweisen ihrer Art im alpinen Raum. Es ist dem Verf. und seinem Team zu danken, dass die Objekte nun nicht nur in ihrer Gesamtheit vorgelegt sind, sondern auch in einem grösseren Kontext ausgewertet wurden. So lichtet sich der Nebel über den scheinbar unüberwindbaren Alpenpässen immer mehr, und unsere Kenntnisse zu den einheimischen Göttern und Opferbräuchen im Alpenraum verdichten sich.

Zitierweise:
Marc-André Haldimann : Rezension zu: Ortolf Harl, Hochtor und Glocknerroute. Ein hochalpines Passheiligtum und 2000 Jahre Kulturtransfer zwischen Mittelmeer und Mitteleuropa. Österreichisches Archäologisches Institut, Sonderschriften Band 50. Wien 2014. Zuerst erschienen in: Jahrbuch Archäologie Schweiz, Nr. 98, 2015, S. 277-278.

Redaktion
Zuerst veröffentlicht in

Jahrbuch Archäologie Schweiz, Nr. 98, 2015, S. 277-278.

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